Orangerie

im Botanischen Garten Münster

2.9. -17.9.2023

orangenHaut

(un)erwartete textile Begegnungen


Bereits der Ausstellungstitel rief launig-emotionale Kommentare beim Publikum hervor: "Danke für die Einladung, andere mit ihrer Orangenhaut zu sehen, damit ich mich mit meinem 'Problem' nicht mehr alleine fühle" oder "Orangenhaut? Wie schön! Die ist ein Zeichen von Reife." Die generationenübergreifende Gruppe tx02, bestehend aus Marianne Herbrich, Mechthild Jülicher, Susanne Klinke, Birgit Reinken, Ulrike Lindner, Vin Dietsch, Jonas Reinhold, Luise Kerstan und ihrem Gast Ernst Köster, hatte vom 2. bis 17.9.2023  zur Ausstellung "orangenHaut" in die Orangerie im Botanischen Garten im westfälischen Münster geladen.
Das klassizistische Orangeriegebäude stammt aus dem Jahr 1840 und ermöglicht seit dem in den kühlen Monaten die Überwinterung frostempfindlicher, aber topfmobiler Pflanzen wie z. B. Orangen- oder Zitronenbäumen. In den Sommermonaten werden diese in ihrem Pflanzkübeln an die Luft gesetzt und machen Platz für die zweite Aufgabe der historischen Funktionsarchitektur, nämlich nun Kunstpräsentationen Raum zu bieten.
Wie schon in ihren früheren Präsentationen suchten die tx02-Künstlerinnen und -Künstler auch diesmal vielfältige Bezüge zum Ausstellungsort. Das Wortspiel "orangenHaut" fasste diese zusammen. Es ging um Orangen, um Haut und um die Farbe orange.

Orangen
Einer der Bezüge waren also die Orangen, die das Ausstellungspublikum als "... zwei Apfelsinen ..." in Form von tüllüberzogenen Konvexspiegeln am Eingang der Orangerie empfingen. Ihre harmlose Anmutung änderte sich bei der detailgenauen Betrachtung ihrer Blätter: Eingestickte Totenschädel verwiesen auf irdische Vergänglichkeit als Varitasmotiv wie in historischen Fruchtstillleben.
Eine moderne Interpretation von diesen stellte die zehnteilige Installation "Vitamin Schutz Schirme" von Susanne Klinke aus unterschiedlich großen Schirmen mit Orangenscheiben-Motiv dar. Die Gestellsegmente korrespondierten dabei mit den Segmenten aufgeschnittener Apfelsinen und die Schirmwölbungen mit dem Rund der Frucht. Umgestülpte Schirme und verbogene Gestelle brachen jedoch die fruchtige Frische des scheinbar nur heiteren Arrangements.
Apfelsinenscheiben waren auch für das Kleidobjekt "scheibenweise" von Mechthild Jülicher die Inspiration. Bei näherer Betrachtung überraschte besonders das Basismaterial, denn mit dünnen Stoffschichten waren hier Werbe-CDs umwickelt und zu einer Kleidvision zusammengenäht. Als Variation dieses Kleider- und Recyclingthemas zeigte Mechthild Jülicher noch die Robe "in Schale". Getrocknete, natürliche Orangenschalen traten hier in einen kleidsamen Dialog mit bemalter Seide.

Haut
Von der im Frühjahr 2023 verstorbenen Marianne Herbrich präsentierte die Ausstellung "orangenHaut" die achteilige Serie "Hemdchen" mit ihren auffällig beuligen Oberflächen, die auf die Struktur menschlicher Orangenhaut anspielen. Die textilen Texturen entstanden durch das handwerkliche Überdrehen und Verdrillen von Garnen unter Zuhilfenahme einer Bohrmaschine.
Auch Birgit Reinken widmete sich dem Aspekt Orangenhaut. Sie zeigte eine sechsteilige Stickereiserie mit voluminös geschichteten Seidenpapieren. In diesen (Haut)-Schichten zeigten sich Beinpaare. Deren vermeintliche Orangenhaut deutete jeweils eine eingeschobene, apfelsinengroße gewölbte Kreisfläche an.
In einer weiteren Bildserie war für Birgit Reinken die orangefarbene Haut von Porträts der Ausgangspunkt für individuelle Interpretationen. In ihrer Arbeit "Fünf Größen" stellte sie Münsteraner Persönlichkeiten vor, die 1840 bei der Eröffnung des klassizistischen Orangeriegebäudes hätten zugegen sein können. Der illustere Reigen reichte von Hermann Landois, dem Gründer des Münsteraner Zoos, über Elisabet Ney, die es der westfälischen Enge entflohen in Amerika zur überaus erfolgreichen Bildhauerin brachte, bis zu Annette von Droste-Hülshoff, deren Literatur (z. B. Die Judenbuche, Der Knabe im Moor) bis heute als Schullektüre geschätzt wird.
Das Thema Haut interpretierten auch Vin Dietsch und Jonas Reinhold - jedoch völlig konträr. Ihr orangeroter "Death Carpet" zeigte die im Foto konservierten Körperreste und Häute überfahrener Tiere. Der große genähte Fototeppich aus mehreren hundert Einzelaufnahmen dokumentierte dabei, wie vielen heimischen Tierarten unser Autoverkehr zum Verhängnis wird. Die Opfer reichen vom Frosch bis zum Fuchs, von der Kröte bis zur Krähe, von der Maus bis zum Mader.

orange
Die Ausstellung "orangenHaut" bot auch Raum, der Farbe Orange nachzuspüren. So hielt Luise Kerstan den Wandel des Sonnenlichteinfalls in das Orangeriegebäude auf orangefarbenen Tüchern fest. Sie erfassten die interessanten Schattenspiele, die  Fenstersprossen und Palmwedel auf dem Orangerieboden erzeugten.
Darüber hinaus erweiterte Luise Kerstan ihre textilen Wortuntersuchungen zu "Wie schwer wiegt ein Wort" und (er)fand Begriffe, in denen sich das Wort "orange" versteckt, wie z. B. in "VORANGEGANGEN" oder "ORANGEZOGEN".

Ulrike Lindner abstrahierte die Farbe und die Frucht Orange zu orangefarbenen Kreisen auf dem Orangerieboden. Übergroße Zirkel scheinen die Kreisringe aus den Boden herausgekratzt zu haben, quasi so, wie es beim Eislaufen durch das Pirouettendrehen im Eis geschieht. Ulrike Lindners Zirkel erreichten so eine anrührend menschliche, eine tänzerische Anmutung.
Das Neonorange ihrer genähten Kreisringe erfuhr dabei eine weitere Intensivierung durch die stark querformatige Acrylmalerei "Orange bei Nacht" von Ernst Köster, der als Gast der Gruppe tx02 die Ausstellung "orangenHaut" spannend bereicherte.


Münstersche Zeitung,

Frank Zimmermann